Montag, 9. Oktober 2006

Weggehen

Ein schöner Tag. Reisetage sind immer schöne Tage. Immer, wenn mans nicht braucht. Man verbringt seine Zeit in arktisch klimatisierten Zugabteilen, anstatt die immer rarer werdende Herbstwärme draussen zu nutzen. Gestern wäre Gelegenheit dazu gewesen, gestern hätte man den ganzen Tag draussen herumlungern können. Aber gestern war Weltuntergang. Regen und Wind und Kälte und alles wie immer an Tagen, an denen man Zeit hätte, das Wetter zu genießen.
Ich dränge mich durch das bereits stickig geatmete Abteil des ICs, im Kopf immer wieder Wagen- und Sitzplatznummer repetierend. Wagen 21, das ist hier. Sitz 23 ... 45 ... 57 ... achtundsechzig, hier!
Glück gehabt, mein Nebenplatz ist unbesetzt. Ich lasse mich in den Sitz am Fenster fallen und breite meine Jacke und die Tüte mit dem frischgekauften Schinkenbrötchen neben mir aus. Eine kleine Mauer aus Cord und fettigem Papier gegen die "Ist hier noch frei?"-Menschen.
Der Zug fährt ruckend an. Langsam beschleunigt er zunächst den Bahnsteig und dann sein verfallener Vorfahr weiter hinten entlang, hinaus aus dem Banhof. Wenn ich jetzt nach links schauen würde, an dem älteren Ehepaar neben mir vorbei, könnte ich meine Wohnung sehen. Ich lasse es sein, so viel Semtimentalität möchte ich mir dann doch nicht zugestehen. Die Shell-Tankstelle mit den immer überteuerten Spritpreisen huscht stattdessen neben mir vorüber. Reflexartig beginne ich, den Literpreis auf eine Tankfüllung hochzurechnen und verwerfe es nach einigen Sekunden. Für die nächste Zeit kann mir der Dieselpreis egal sein.
Der Zug reist mit Innenstadt-Reisegeschwindigkeit. Hinterhöfe und Kleingartenanlagen wechseln in rascher Folge, getrennt durch Häuserschluchten, die immer wieder dazwischen aufblitzen. Die große SAM-Halle, dahinter müsste gleich der Bahnübergang kommen, den man überqueren muss, um zu unserem Garten zu kommen und an dem man immer so ewig warten muss.
Wieder Hinterhöfe, dann taucht parallel zu den Schienen eine Straße auf, begleitet sie einige Sekunden um dann jäh im rechten Winkel abzubiegen. Ich kenne sie, ich bin sie vermutlich schon hunderte Male entlanggefahren. Sie führt zum Flugplatz hoch. Die fliegen heute, ich sehe es an der Wilga, unserem Schleppflugzeug, das gerade ins kurze Endteil eindreht, das Schleppseil zappelnd hinter sich herziehend.
Die Stadt zieht sich weit an der Bahnlinie entan. Ein riesiges nicht enden wollendes Fotoalbum, unsortiert und in schneller Folge durchgeblättert.
Die verwaisten Industriebrachen, in denen wir früher so ausgiebig nach Abenteuern gesucht und immer nur den grimmigen Wachmann gefunden haben, der uns fluchend davonjagte. Die Straße, an deren Ende diese eine Schule steht, wie heißt sie noch gleich, sie sollen einmal einen Lehrer aus dem Fenster geworfen haben dort, heißt es. Der sanierte Neubau, in dem Maik seine erste eigene Wohnung hatte, ein Wohnschließfach von heimeligen fünfzehn Quadratmetern mit Kochnische und Dusche. Wieviel Menschen dort doch immer wieder hineinpassten... Der Acker, auf dem ich einmal gelandet bin, keine fünf Kilometer vom Flugplatz entfernt, weil ich das Wetter zu gut eingeschätzt hatte.
Zu fast jeder Hauswand, jeder Straße, jeder Baumreihe fallen einem Dinge und Menschen ein. Sie wechseln so rasch, dass die Erinnerungen nur Streiflichtartig aufleuchten. Und mit jedem Aufleuchten fällt, reisst etwas von mir ab, aus mir heraus. Es ist, als ziehe der Zug die Stadt mit urwüchsigen Gewalt unter mir fort und mit ihr die vielen Erinnerungsfäden, die sich einer nach dem anderen länger und länger dehnen, schließlich schnalzend abreißen und mich mit Damien Rice allein im Zug zurücklassen.
Es sind weniger die drei kommenden Wochen in München, die mich so schwermütig auf meine vorbeirasende Heimat blicken lassen als vielmehr das Bewusstsein, dass das hier und die kommenden fünf Monate der Pendelei nur eine Generalprobe für den viel zu bald anstehenden endgültigen Abschied von Daheim ist. Nach 23 Jahren irgendwo vollkommen neu anfangen, das ist bei allem Hauch von Aufbruch und dem allem neuen innewohennden Zauber vor allem ein ziemlich einschüchternder Gedanke. "Guten Tag, die Fahrkarten, bitte!".

Montag, 21. August 2006

Nachruf

Requiem

Weil der Knarf Rellöm-Stil so beliebt ist und so gut passt:

Ich erinnere mich an den Tag, als ich dich abholte. Die frischgepressten Schilder makellos weiß in meiner Hand. Ich etwas unsicher, hauptsächlich vorfreudig, wie man halt die erste gemeinsame Fahrt so angeht. Du standest wartend da und brabbeltest schon ungeduldig vor dich hin, als ich um die Ecke bog. Ganz sauber warst du sicher nicht, aber das Tat deiner Schönheit keinen Abbruch.

Ich erinnere mich an das erste mal, als ich mich zurücklehnte und dachte: Diese hier und keine andere. Nie wieder, koste es was es wolle.

Ich erinnere mich daran, wie es allmählich kostete, was es wollte und wie ich mit jedem Mal umso sicherer wurde, dass es etwas ernstes ist.

Ich erinnere mich an den Tag des TOOL-Konzerts in Hamburg, als ich dich zur Presse wünschte, weil du mich so hinterhältig im Stich gelassen hattest.

Ich weiß noch, wie ich mich wieder mit dir versöhnte, als du deine Allüren nach einer klärenden Schrauberei aufgabst.


Ich erinnere mich an den letzten Freitag. Das wechselhafte, aber schöne Wetter, die Autobahn frei, die Kühlertemperatur angenagelt im grünen Bereich. Rio Reisers "Land in Sicht" im Radio. Zeitreise.

Ich erinnere mich an den Fuchs, dem ich zwei weitere Sekunden Leben schenkte und wie ich dich dafür preisgab.
Ich werde nie vergessen, wie du mich traurig und vorwurfsvoll, leicht schielend von der Ladefläche des Abschleppwagens herunter anschautest.

Verzeih mir, du hast es besser verdient.

Sonntag, 30. Juli 2006

Fass!

Der Niedergang eines Blogs. Eben noch Bühne für soziologische Betrachtunge, dann Publicity-Plattform (wenn auch für eine verdammt gute Sache) und nun angekommen in den Niederungen der Internet-Spielereien:
Ein Kettenbrief. Aber wer will denn kritisch sein. Here we go, Stöckentime is good time, good time is better time:


Warum bloggst du?

Das frag ich mich ja auch. Dank meiner überschaubaren Besucherzahl und den kaum vorhandenen Berührungspunkten mit der sogenannten realen Welt kann ich das ganze hier nach wie vor als eine Art Tagebuch betrachten. Für alles, was zu lang für die beiden Amok-Threads wäre.


Seit wann bloggst du?

Es war im Dezember des Jahres 2005, während des zweiten großen Blog-Rausches.


Selbstportrait:

Hier im Blog zu finden. Ein Mann, oben Haare, unten Haare. Was will man da groß fotografieren?


Warum lesen deine Leser dein Blog?

Blanker Voyeurismus. Anders kann ich mir die Besucherzahlenpeaks zu Zeiten meiner lustigen kleinen Beinahe-Beziehungskrise nicht erklären.


Welche war die letzte Suchanfrage, über die jemand auf deine Seite kam?

Surprise, surprise: bocian. Dicht gefolgt von allerlei Wortkombinationen zum Thema ficken (Meine Güte, einmal in diesem Blog erwähnt, das Wort) und Bartwuchs (???).


Welcher Deiner Blogeinträge bekam zu Unrecht zu wenig Aufmerksamkeit?

Um Blogeinträge wird allgemein zu viel Aufhebens gemacht.


Dein aktuelles Lieblingsblog?

Ich bin nicht so der regelmäßige Blogleser. Aber bei Beko mit seinem Riesen-Output ist eigentlich immer was lesenswertes dabei.


Welches Blog hast du zuletzt gelesen?

Ich hab mich mal aus gegebenem Stöckchen-Anlass in Frau Göttins Blog vertieft.


Wie viele Feeds hast du gerade im Moment abonniert?

Feed?


An welche vier Blogs wirfst du das Stöckchen weiter und warum?

Also alle Blogs, die ich so kenne und lese sind bereits unter einem Haufen von Stöckchen begraben. Und da mir keine schlimmen Konsequenzen für mich oder meine Familie im Falle des nicht-weiterleitens angedroht wurden (schwerer Fehler, lieber Kettenbrief!), lass ich das jetzt mal.

Freitag, 28. Juli 2006

The story of glass

Zwischen all dem Gezeter über die Dummheit der Mitmenschen mal ein konstruktiver Einschub:

Niklas Kindhäuser, Mitglied der von mir bereits seit längerem verehrten Band Your favourite season wandelt auf Solopfaden und stellt jede Woche einen neuen Song in seinem Blog online.
Der erste, Panama, gehört wohl mit zu dem klügsten, was in letzter Zeit zum Thema Verlassenwerden geschrieben wurde.

"Warum endet jede gute Zeit
mit den Händen in den Taschen,
dem Kinn auf der Brust,
und einem Kloß im Hals?"


Und rocken tut auch auch noch.

Meine Damen und Herren, hier entsteht etwas großes! Runterladen! Weitersagen!

Jeder redet drüber, aber keiner versteht es

Mit Leuten, die man mag, sollte man über gewisse Themen einfach nicht diskutieren. Es könnte sein, dass man sich hinterher einfach nicht mehr so mag. Musik ist so ein Thema. Und eben Politik.
Haarsträubend, was da teiweise als Meinung getarnt um die Ecke kommt. Und mit welcher Überzeugtheit das vertreten wird. Es wird ins beiläufig Gespräch eingeflochten wie eine Bemerkung übers Wetter. "Und was die Juden da unten grade abziehen..."*kopfschüttel*. Oder so ähnlich. Sowas ist dann offensichtlich nicht als einleitende These für eine Diskussion gedacht, sondern eher als Aufforderung zur Zustimmung. So, als würde man über die Hitze klagen um sich zu versichern, dass es den anderen auch zu heiß ist.
Wenn man sein Gegenüber dann mit überraschendem Widerspruch düpiert, kommt meist ein gereiztes: "Das kotzt mich in diesem Land hier so an! Dass man nicht offen seine Meinung sagen kann!"
Spätestens dann vergeht mir meist jegliche Lust an einer Diskussion oder überhaupt irgendeiner Unterhaltung. Dummerweise stachelt man damit die Hüter der ewigen Wahrheit meist noch an. "Du solltest mal das Buch von XYZ lesen, das öffnet dir vielleicht die Augen!" Meist sind die Titel der angeführten Literatur dann aber noch stumpfer als die vorangegangenen Stammtischthesen.

Dieses sich ständig wiederholenden Schauspiel endet spätestens dann, wenn man versucht, die eigene Ansicht darzulegen, die sich leider nicht auf vergleichbar markige Kernsätze schrumpfen lässt. "Du hast doch selber keine Meinung dazu. Mit dir kann man einfach nicht diskutieren."

Warum müssen hier immer alle zu allem eine Meinung, aber von nix ne Ahnung haben? Dass man keine Ahnung vom Bügeln, von Autos oder von "Grundzüge der BWL" hat, wird doch auch unumwunden zugegeben. Warum sagt keiner: "Von Politik hab ich keine Ahnung". Zumindest ohne dranzuhängen: "Sind doch eh alles Verbrecher..."
Und warum versteht es keiner, wenn man sich darüber aufregt? Dieter Nurhs Sätze zur Problematik sind bekannt.

Dienstag, 27. Juni 2006

Krieg der Kalotten

Ich komme nach der Uni nach Hause, mache mir etwas zu essen. Durch die Wand höre ich leise ein paar Bässe wummern. Mein Nachbar mit den großen Boxen frönt seiner Affinität zu den Fantas. Während ich die lauwarmen Ravioli in mich hineinstopfe, meine ich "Populär" herauszuhören. Eigentlich wäre Musik jetzt keine schlechte Idee. Ich entscheide mich für Katie Melua, was leichtes zur Verdauung. Doch das arme Mädchen hat auf Zimmerlautstärke keine Chance gegen "MfG", anscheinend einer der favourites meines unsichtbaren Fantafreundes. Was solls, hör ich halt lauter. Der Verstärker will ja auch ausgelastet werden.
Am rhytmischen vibrieren meines Wasserglases merke ich, dass Fanta-Rainer, wie ich ihn nun in Gedanken nannte, auf R&B der basslastigen Sorte umgestiegen ist. Mit seichten Frauenstimmen ist hier nichts mehr zu bestellen. Du willst Ghetto? Die Master of Puppets gleitet in den CD-Player. In der Mitte von "Battery" muss ich einsehen, dass mir Timbaland-Rainer um mindestens 30 Watt überlegen ist. Spätestens jetzt ist auch klar, dass er mir was beweisen will: Er weicht auf BO aus. Herber Rückschlag. Ich lasse mich dazu verleiten, meinen letzten Trumpf viel zu früh zu bringen: TOOL. Ab jetzt geht die Partie nur noch über Lautstärke. Verstärker auf 60%, Zeit für ein wenig Ohropax. Los Tioz-Rainer scheint kurzzeitig irritert: DIe längere Pause nach dem letzten Song kann nur heißen, dass er mit seinen Alternativen bald am Ende ist. Er muss zu lange überlegen, macht Fehler. Ich lege mit einem beherzten Dreh am Lautstärkeregler weiter vor. Erstes Kratzen in den Boxen, ich muss die Höhen ausregeln.
Es wird wieder laut in der Nebenwohnung, ich harre in gespannter Erwartung. Ist das? Oh Gott, wie krank! Tokio Hotel! Jetzt also über die psychologische Schiene. Mir bleibt wenig Zeit um alles auf eine Karte zu setzen: hastig setze ich den Thorens in Gang und lasse fahrig die Sammlung russischer Volkslieder, die mir mein Vater damals stolz vermacht hat, auf den Plattenteller gleiten. Ich schließe das Fenster, um den Schalldruck auf die Wand zu optimieren. Wird es reichen? Psycho-Rainer scheint ebenfalls am Limit, er erhöht nur noch die Lautstärke. Doch was heißt nur? Mit einem Seitenblick bemerke ich, dass es mein Glas bereits vom Tisch vibriert hat. Schwer zu sagen, wer daran Schuld ist, er oder ich. Man kann nun deutlich das Kratzen der Boxen vernehmen. Schön ist das schon lange nicht mehr. Und dann: Finale! Ein letztes infernalisches Rasuchen kündet vom Ende zumindest einer Box. Danach Totenstille. Sieg, Sieg, Sieg! Tief zufrieden würge ich den russischen Männerchor bei "Ochi Chernye" ab, gebe Katie eine zweite Chance und sammle die Reste meiner Ravioli vom Teppich auf. Doch so recht möchte sich kein Triumphgefühl einstellen, denn ich ahne: Die nächste Box kommt bestimmt. Und sie wird tendenziell eher größer sein...

Montag, 19. Juni 2006

Fuck forever

Geht das jetzt ewig so weiter, dass sie immer genau dann auftaucht, wenn ich beginne, mich mit was anderem beschäftigen zu können?
Ich bin also "mehr so der Typ für immer". Na danke, gehts kryptischer? Ein einfaches "Du bist zu langweilig" hätte es doch auch getan, oder? Warum muss man da so ein sprachliches Hintertürchen aufstoßen, an das sich jetzt wieder all meine Hoffnung krallt?
Und wieso ist diese verdammte Hoffnung nicht totzukriegen, obwohl sie schon zigmal enttäuscht wurde und rational nicht mehr zu begründen ist? Hoffnungslosigkeit ist doch was tolles, wenn sie nicht allumfassend ist. So eine partielle Hoffnungslosigkeit, das wärs...

Dienstag, 30. Mai 2006

Good Weekend

Immergut war. Eine willkommene Abwechslung vom alltäglichen Trauer-Wut-Resignation-Zyklus. Highlights: Art Brut und Pale. Und Tomte haben Mofa gespielt! Das allein wars schon wert...
Eddie Argos meinte:
"If you're not here with the girl, you want to be with, she's not meant for you."
Und auch wenn ich in diesem Moment nicht mehr tun konnte als unwillkürlich meinen Mittelfinger zu dieser ganz offensichtlich an mich gerichteten Ansage zu heben, muss ich eingestehen, dass er wohl recht hat. Ich werde Sie jetzt einfach vergessen. Dies war ein Statement.

Donnerstag, 25. Mai 2006

Man vermisst, was man nicht kennt...

Sie sagen, das wird schon noch. Und dass ich mit dem Kopfkino endlich aufhören soll. Dass man nicht überinterpretieren soll.
Sie sagen Sätze, die ich sehr gut kenne. Sätze, die ich selbst früher immer benutzt habe. Mein Gott, ich hatte keine Ahnung...

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corr (Gast) - 23. Jul, 20:24
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Hallo.. die Kommentare mit den Zahlen dran sind von...
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Und noch mehr ähnliche Laune hier: http://de.youtube.co m/watch?v=pc7eGzfl4Yo&feat ure=related
Ihr Gestörten (Gast) - 11. Dez, 18:22
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http://de.youtube.com/watc h?v=VpG-NXsBfqc&feature=re lated
Ihr Gestörten (Gast) - 11. Dez, 18:18
Weil der Knarf Rellöm...
Ich erinnere mich an den Tag, als sie uns abholten....
22.20.2327 (Gast) - 11. Dez, 17:55

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